Das Verkehrslexikon

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Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr

Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
-   Abgrenzung zu bedingtem Vorsatz
-   Mitverschulden des Getöteten
-   Garantenstellung - Werkstatt
-   Garantenstellung aus vorangegangenem Tun
-   Lenkzeiten - Speditionsunternehmen
-   Beweiswürdigung
-   Strafzumessung
-   Disziplinarmaßnahmen
-   Urteilsanforderungen



Einleitung:


Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt fahrlässig ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung - beispielsweise durch einen Verkehrsverstoß - begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein.


Für die Frage, ob zwischen der Folge (Tod) und Verkehrsverhalten Kausalität besteht, ist bei fahrlässigen Erfolgsdelikten der Eintritt der konkreten Gefährdungslage maßgeblich, die unmittelbar zum schädigenden Erfolg geführt hat.

Zu vertiefter Auseinandersetzung mit der Abgrenzung von Selbstgefährdung und Fremdgefährdung besteht dann Anlass, wenn sich die in einen Unfall verwickelten Fahrzeugführer sämtlich verkehrswidrig verhalten haben.

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen

Personenschaden allgemein

Fahrlässige Körperverletzung im Verkehrsrecht

Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr

Fahrlässigkeit im Verkehrsrecht

Kausalzusammenhang - Ursachenzusammenhang

Unterlasssungsdelikte - Garantenstellung aus vorangegangenem Tun

Garantenstellung - Reparaturwerkstatt

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Allgemeines:


BGH v. 25.09.1957:
Als ursächlich für einen schädlichen Erfolg darf ein verkehrswidriges Verhalten nur dann angenommen werden, wenn sicher ist, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht zu dem Erfolg gekommen wäre. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs nicht entgegen; vielmehr muss sich eine solche Möglichkeit auf Grund bestimmter Tatsachen, die im Urteil mitzuteilen und zu würdigen sind, so verdichten, dass sie die Überzeugung von der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Gegenteils vernünftigerweise ausschließt.

BGH v. 18.11.1969:
Nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft besteht der Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschläft (einnickt), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnimmt oder wenigstens wahrnehmen kann. Ausgenommen hiervon ist der (seltene) Fall, dass der Kraftfahrer an Narkolepsie leidet.

BGH v. 17.11.1994:
Die Teilnahme eines Kfz-Führers am Straßenverkehr stellt sich angesichts seines Anfallsleidens sowie der Häufigkeit und Intensität seiner Anfälle als ein Verhalten dar, das die mit Blick auf das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer gebotene Sorgfalt vermissen lässt. Die Anknüpfung an dieses Verhalten, durch das der Tod einer Fußgängerin und die Verletzung von 14 weiteren Personen in zurechenbarer Weise verursacht worden ist, findet ihre Rechtfertigung in den Eigenarten des fahrlässigen Erfolgsdelikts. Des Rückgriffs auf die umstrittene Rechtsfigur der actio libera in causa bedarf es dazu nicht.

BGH v. 22.08.1996:
Die Annahme der Rechtsfigur der "actio libera in causa" ist bei Alkohol-Verkehrsdelikten mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, sofern Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB vorliegt.

OLG Jena v. 24.03.2006:
Eine strafrechtliche Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kommt nach einem Verkehrsunfall, bei dem ein Kind verletzt worden und an den Unfallfolgen verstorben ist, dann nicht in Betracht, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass das Kind zumindest mit einer nicht zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit auch bei verkehrsgerechtem Verhalten des Kfz-Führers zu Tode gekommen wäre.




LG Freiburg v. 25.02.2008:
Fahren auf Sicht im Sinne der §§ 3 Abs. 1 S. 4, 18 Abs. 6 StVO kann nachts auf unbeleuchteter Autobahn für einen Lkw-Fahrer bedeuten, dass er bei Abblendlicht mit 30 m Sichtweite eine Geschwindigkeit von 45 km/h nicht überschreiten darf. Fährt er gleichwohl schneller (hier: 86 km/h) und prallt auf ein unbeleuchtetes Unfallfahrzeug, wodurch ein Mensch getötet wird, ist er der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB schuldig.

BGH v. 20.11.2008:
Die Abgrenzung zwischen Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung richtet sich bei Fahrlässigkeitsdelikten nach der Herrschaft über den Geschehensablauf. Zur rechtfertigenden Wirkung einer Einwilligung bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr.

OLG Köln v. 20.04.2010:
Ein Kraftfahrer darf im Straßenverkehr nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig vor einem Hindernis auf seiner Fahrspur halten kann. Bei Fernlicht ist die Sicht größer, damit kann auch die gefahrene Geschwindigkeit höher sein. Bei Fahrten mit Abblendlicht ist die Geschwindigkeit der geringeren Reichweite dieses Lichts anzupassen. Wer vor einem entgegenkommenden Fahrzeug ganz kurz abblendet, ist nicht zur Herabsetzung seiner Geschwindigkeit verpflichtet, wenn er innerhalb des zuvor vom Fernlicht ausgeleuchteten Raumes wieder aufblenden kann. Muss nach dem Abblenden länger mit Abblendlicht gefahren werden, so braucht der Kraftfahrer nicht sofort im Augenblick des Abblendens seine Geschwindigkeit auf das durch die geringere Reichweite der abgeblendeten Scheinwerfer bedingte Maß herabsetzen, etwa durch scharfes Bremsen. Vielmehr genügt es, wenn er bis zum Ende der vorher ausgeleuchteten Strecke seine Geschwindigkeit - allmählich - so weit herabgesetzt hat, dass er nunmehr innerhalb der Reichweite der abgeblendeten Scheinwerfer anhalten kann.

AG Emmerdingen v. 01.10.2014::
Bei fahrlässiger Tötung in -Tateinaheit mit Straßenverkehrsgefährdung kann eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten angemessen sein.

LG Köln v. 23.05.2016:
Ein falsches Fahren bei einem Überholvorgang liegt vor, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht.




OLG Düsseldorf v. 14.05.2018:
Zwar ist das Revisionsgericht an die Überzeugung des Tatrichters vom Tatgeschehen auch insoweit gebunden, als es sich nur um mögliche Schlussfolgerungen tatsächlicher Art handelt. Das gilt aber dann nicht, wenn sich die Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden - Verdacht begründen (BGH, Beschluss vom 25. März 1986 - 2 StR 115/86 -, juris).

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Abgrenzung zu bedingtem Vorsatz:


BGH v. 22.03.2012:
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt. Das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs ist regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann.

BGH v. 04.08.2016:
Das Beantworten von zwei auf dem Mobiltelefon eingegangener WhatsApp-Nachrichten während der Fahrt mit der Folge eines Unfalls durch das Übersehens zweier Radfahrer, von denen einer unfallbedingt auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb, kann zu einer Verurteilung eines Jugendlichen wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren mit Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung und weiterem Maßregelausspruch führen.

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Erfolgszurechnung - Verantwortungsprinzip:


OLG Celle v. 25.04.2012:
Verhalten sich bei einem Überholvorgang sowohl der überholende als auch der überholte Fahrzeugführer pflichtwidrig und veranstalten spontan eine einem illegalen Rennen zumindest vergleichbare "Kraftprobe", so wird die Zurechnung der Folgen eines hierdurch verursachten Unfalls an den mittelbaren Verursacher nicht durch das sog. Verantwortungsprinzip ausgeschlossen, wenn die geschädigten Beifahrer des unmittelbaren Verursachers keinen beherrschenden Einfluss auf das Geschehen hatten.

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Mitverschulden des Getöteten:


OLG Hamm v. 20.08.2015:
Ein Mitverschulden des Unfallgegners ist dann geeignet, die Vorhersehbarkeit eines Unfalls für den Beschuldigten einer fahrlässigen Tötung oder einer fahrlässigen Körperverletzung auszuschließen, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht. Zumindest eine vorsätzliche Begehung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist bei wertender Betrachtung als gänzlich vernunftwidriges Verhalten anzusehen.

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Garantenstellung - Werkstatt - Reparaturbetrieb:


Garantenstellung - Reparaturwerkstatt

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Garantenstellung aus vorangegangenem Tun:


Unterlasssungsdelikte - Garantenstellung aus vorangegangenem Tun

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Lenkzeiten - Speditionsunternehmen:


LG Nürnberg-Fürth v. 08.02.2006:
Schafft ein Spediteur in seinem Betrieb ein gefährliches und rechtswidriges System, das regelmäßig zur Übermüdung bis hin zur Erschöpfung der Fahrer auf ihren Touren führt, und wird damit auch zwangsläufig gegen die gesetzlich erlaubten Lenkzeiten nach der Verordnung 3820/85/EWG verstoßen, macht sich der Spediteur im Schadensfalle wegen fahrlässiger Tötung strafbar.

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Beweiswürdigung:


OLG Düsseldorf v. 14.05.2018:
Zwar ist das Revisionsgericht an die Überzeugung des Tatrichters vom Tatgeschehen auch insoweit gebunden, als es sich nur um mögliche Schlussfolgerungen tatsächlicher Art handelt. Das gilt aber dann nicht, wenn sich die Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen - wenn auch schwerwiegenden - Verdacht begründen (BGH, Beschluss vom 25. März 1986 - 2 StR 115/86 -, juris).

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Strafzumessung:


Strafzumessung - Strafmaß

OLG Rostock v. 22.10.2004:
Trunkenheitsfahrt, fahrlässige Tötung und Unfallflucht eines Rechtsanwalts - keine Strafaussetzung zur Bewährung

OLG Hamm v. 26.08.2014:
Im Hinblick auf die herausragend schweren Folgen für den Getöteten und seine nahen Angehörigen (Frau und drei Kinder), die das Maß der absoluten Fahruntüchtigkeit weit übersteigende Alkoholisierung des Angeklagten sowie die festgestellte aggressive Fahrweise in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat ist trotz zahlreicher mildernder Umstände die Wertung des Landgerichtes, besondere Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB bestünden nicht, vielmehr gebiete die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe, § 56 Abs. 3 StGB, zutreffend.

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Disziplinarmaßnahmen:


Disziplinarrecht und Straßenverkehrsrecht

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Urteilsanforderungen:


OLG Hamm v. 25.06.2009:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein - nicht standardisiertes - Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus geschlossenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NJW 2000, 1351; NJW 1993, 3081). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil aber nicht im vollen Umfang.

OLG Jena v. 17.02.2012:
Zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung auf-grund Verstoßes gegen das sog. Sichtfahrgebot.
BGH v. 21.11.2019: Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Das bedeutet, dass der festgestellte Sachverhalt so darzustellen ist, wie er sich nach Überzeugung des Gerichts abgespielt hat; zum inneren und äußeren Tatgeschehen sind Tatsachen mitzuteilen, so dass dem Revisionsgericht die Überprüfung der rechtlichen Würdigung ermöglicht wird (BGH, Urteil vom 19. Mai 1987 - 1 StR 159/87, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 1; Beschlüsse vom 23. Juni 1993 ‒ 5 StR 326/93 und vom 28. September 2010 - 4 StR 307/10, juris Rn. 3f.). Die Darstellung muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Tatrichter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Bewertung zugrunde gelegt hat (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2008 - 2 StR 424/08, juris Rn. 2).

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