Das Verkehrslexikon

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Sekundenschlaf - Übermüdung und Einschlafen am Steuer - grobe Fahrlässigkeit

Der Sekundenschlaf und Schlafstörungen - Übermüdung und Einschlafen am Steuer




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
-   Unfall als Folge einer Synkope
-   Selbstgefährdung des Beifahrers
-   Fahrzeugversicherung
-   Mietwagen



Einleitung:


Übermüdung am Steuer in der Form des sog. Sekundenschlafes ist eine durchaus in der Praxis vorkommende nicht zu seltene Unfallursache. Zwar geschieht der Fall in den Sekundenschlaf schlagartig, aber dennoch ist medizinisch erwiesen, dass sich dies vorher durch viele Anzeichen ankündigt, sodass in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, dass den Fahrzeugführer an einem auf einem Sekundenschlaf beruhenden Unfall keine Schuld trifft.

Im Gegenteil wird im Bereich der Fahrzeugversicherung (Vollkasko) das Sich-dem-Sekundenschlaf-Überlassen als grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls gewertet.


Auch strafrechtlich ist der Sekundenschlaf von Bedeutung, wenn es dadurch zu einem Personenschaden (fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung) kommt. Ob in Fällen von Übermüdung der Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung verwirklicht werden kann, dürfte weitgehend davon abhängen, ob auf subjektiver Ebene das Merkmal der Rücksichtslosigkeit nachgewiesen werden kann.

Schon im Jahre 1969 hat der BGH in seiner Vorlageentscheidung vom 18.11.1969 - 4 StR 66/69 - unter Hinweis auf die verkehrsmedizinische Literatur festgestellt:

"Sicher ist, dass ein Kraftfahrer, der durch bestimmte Anzeichen den Zustand der Müdigkeit bemerkt hat oder bemerken musste und gleichwohl auf die Gefahr hin, dass es durch seine Müdigkeit (etwa infolge einer verspäteten oder verlangsamten Reaktion in einer Gefahrenlage), vor allem durch ein Einnicken oder gar festes Einschlafen zu einem Unfall kommen könne, ohne Fahrtunterbrechung bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit (zum Zwecke des Schlafens oder mindestens des Sichausruhens, Sichbewegens und Sichauffrischens) weiterfährt, seine Pflichten in vorwerfbarer Weise verletzt. Mit dem Einschlafen am Steuer bei starker Ermüdung muss allgemein gerechnet werden."

Zum Mitverschulden des Beifahrers, der sich von einem übermüdeten Fahrzeugführer transportieren lässt.

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Weiterführende Links:


Der Sekundenschlaf und Schlafstörungen - Übermüdung und Einschlafen am Steuer

Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen

Straßenverkehrsgefährdung / gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

Alkohol im Verkehrsstrafrecht - Trunkenheitsfahrt - Fahruntüchtigkeit

Fahrlässigkeit im Verkehrsrecht

Schuldform - Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Alkoholtaten

Bedingter Vorsatz - dolus eventualis

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Allgemeines:


BGH v. 18.11.1969:
Nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft besteht der Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschläft (einnickt), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnimmt oder wenigstens wahrnehmen kann. Ausgenommen hiervon ist der (seltene) Fall, dass der Kraftfahrer an Narkolepsie leidet.

OLG Jena v. 11.03.1999:
Verursacht der Fahrer einen Unfall dadurch, daß er am Steuer einschläft, muß das Einnicken nicht notwendigerweise als grob fahrlässiges Fehlverhalten gewertet werden, das eine persönliche Haftung begründet. Es bedarf dann zusätzlicher konkreter Anhaltspunkte dafür, zu belegen, daß sich der Fahrer über deutliche Anzeichen der Ermüdung hinweggesetzt hat.

OLG Brandenburg v. 16.03.1999:
Wer nach einem langen, körperlich anstrengenden Arbeitstag auf der Heimfahrt seine aufkommende Müdigkeit missachtet und weiterfährt, obwohl er mehrmals für kurze Zeit die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hat und es infolgedessen zu Schlingerbewegungen gekommen ist, handelt grob fahrlässig.

OLG Düsseldorf v. 14.03.2002:
Der Mieter eines Autos haftet im Fall eines Unfalls, der Folge eines sog. Sekundenschlafes ist, bei vereinbarter Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit nur dann, wenn er sich bewusst über von ihm erkannte deutliche Vorzeichen einer Ermüdung hinweggesetzt hat, bevor er in den sog. Sekundenschlaf verfiel und mit dem Mietfahrzeug von der Fahrbahn abkam.

OLG Saarbrücken v. 15.09.2009:
Für einen "Sekundenschlaf" als Unfallursache spricht kein Anscheinsbeweis. Ein Rechtsabkommen von der Fahrbahn kann naOLG Saarbrücken v. 15.09.2009:
ch der Lebenserfahrung zahlreiche andere Ursachen haben. Das Gericht kann aber auf Grund von Indizien die richterliche Überzeugung gewinnen, dass eine Sekundenschlaf die Ursache eines ansonsten ungeklärten Abkommens von der Fahrbahn war. Auch wenn Indizien auf einen Sekundenschlaf hindeuten, steht damit nicht fest, dass der für einen Anspruchsübergang nach § 110 SGB VII erforderliche Nachweis grob fahrlässiger Unfallverursachung geführt ist, wenn nicht feststeht, dass der Kfz-Führer von ihm bemerkte Anzeichen von Übermüdung bewusst übergangen hat.

AG Emmendingen v. 01.03.2023:
Ein zweimaliges Einnicken des Täters vor einem Infolge Übermüdung verursachten Verkehrsunfalles rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme von Vorsatz bezüglich der Fahruntüchtigkeit.

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Unfall als Folge einer Synkope:


OLG Bamberg v. 30.03.2010:
Ausweislich der vorliegenden (allgemein) zugänglichen fachwissenschaftlichen Quellen beträgt die 10-Jahres-Inzidenz für ein Synkope unter der Normalbevölkerung 6%, was einer 1-Jahres-Inzidenz von 0,6% oder von 6 Promille entspricht. Anhand dieser durch veröffentlichte epidemiologische Maßzahlen belegten Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten einer Synkope besteht für eine Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten der Angeklagten keine tragfähige, verstandesmäßig einsehbare Tatsachengrundlage. Das Gericht muss vielmehr anderen möglichen und aus der Sphäre des Kfz-Führers herrührenden Unfallursachen, etwa einer Übermüdung bzw. eines Sekundenschlafs im Unfallzeitpunkt oder einer durch andere Umstände verursachten Unaufmerksamkeit bzw. Konzentrationsstörung durch Ablenkung im Rahmen seiner Beweiswürdigung die gebührende Bedeutung zumessen.

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Selbstgefährdung des Beifahrers:


OLG Frankfurt am Main v. 08.11.2010:
Der Vorwurf einer sich gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu Lasten des geschädigten Beifahrers auswirkenden schuldhaften Selbstgefährdung kann mit Erfolg nur gemacht werden, wenn sich ein Mitfahrer einem Fahrzeugführer anvertraut hat, obwohl er dessen unfallverursachende Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit kannte oder bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können. Ob dies der Fall ist, hängt von den Gesamtumständen, insbesondere davon ab, inwieweit die die Gefährdung begründenden Tatsachen, die auf eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit schließen lassen konnten, dem Mitfahrer bekannt waren. Die Beweislast für die Erkennbarkeit der Beeinträchtigung trägt die sich auf ein Mitverschulden berufende Seite.

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Fahrzeugversicherung:


OLG Hamm v. 05.11.1997:
Einem Einnicken am Steuer gehen stets für den Fahrer unübersehbare Anzeichen voraus, deren Nichtbeachtung in der Regel grob fahrlässig ist. Es muß jedoch kein grob fahrlässiger Fehlschluß sein, sich nach einer kurzen Pause für soweit erholt zu halten, eine kurze restliche Fahrstrecke noch zurücklegen zu können.

OLG Saarbrücken v. 11.12.2002:
In der Kaskoversicherung obliegt dem Versicherungsnehmer die Beweislast, er habe die Lichtzeichenanlage bei Rotlicht im Zustand schlafbedingter Bewusstlosigkeit (infolge einer Schlafapnoeerkrankung) überfahren und sei daher für den einen Unfall nicht verantwortlich. Misslingt dieser Beweis ist der Versicherer wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls von der Leistungspflicht frei.

BGH v. 29.10.2003:
Soll ein Unfall auf einen sog. Sekundenschlaf infolge einer bis dahin nicht erkannten Schlafapnoe ohne vorausgehende Anzeichen für eine Leistungseinbuße eingetreten sein, so hat der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür, dass diese bewusstseinseinschänkende Krankheitsfolge im Unfallzeitpunkt vorgelegen hat.

LG Dortmund v. 15.12.2005:
Ein Einschlafen am Steuer entlastet den Versicherungsnehmer in der Fahrzeugversicherung nicht. Einem Einnicken am Steuer gehen stets unübersehbare Zeichen voraus, deren Nichtbeachtung dem Fahrer in der Regel zum groben Verschulden gereicht, sofern nicht im Einzelfall Anhaltspunkte bestehen, die das Verhalten des Fahrers in einem milderen Licht erscheinen lassen.

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Mietwagen:


OLG Koblenz v. 12.01.2007:
Das „Einnicken“ am Steuer begründet nur dann den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gegen den Fahrer, wenn er sich nachweislich über von ihm erkannte deutliche Vorzeichen der Ermüdung bewusst hinweggesetzt hat. Der weitergehenden Rechtsprechung einiger Obergerichte, wonach einem Einnicken am Steuer stets unübersehbare Anzeichen vorausgehen, deren Nichtbeachtung in der Regel grob fahrlässig sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

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Lenk- und Ruhezeiten:


Fahrpersonal - Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten

OLG Hamm v. 09.12.2008:
Kommt es in Folge der Nichteinhaltung der zulässigen Lenk- und vorgeschriebenen Ruhezeiten gem. Art. 11, 8 AETR bzw. § 6 FPersV zu einem Unfallschaden, haftet der Geschäftsherr des Unfallfahrers aus § 831 BGB. Ob daneben aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Organisationsverschuldens gehaftet wird, bleibt offen. An den Entlastungsbeweis sind hohe Anforderungen zu stellen.

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Strafrechtliches:


BGH v. 18.11.1969:
Nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft besteht der Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschläft (einnickt), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnimmt oder wenigstens wahrnehmen kann. Ausgenommen hiervon ist der (seltene) Fall, dass der Kraftfahrer an Narkolepsie leidet.

BayObLG v. 18.08.2003:
Fährt ein Lkw-Fahrer, der seine Übermüdung erkannt hat, infolge eines Sekundenschlafs ungebremst in ein Stauende und werden dabei andere Verkehrsteilnehmer getötet und verletzt, so kann eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr nicht mit der Erwägung ausgeschlossen werden, eine derart hohe Strafe komme in der Regel nur bei Unfällen auf Grund alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit in Betracht.

LG Traunstein v. 08.07.2011:
Ein von Zeugen bekundetes Unfallgeschehen, nämlich ein langsames Abkommen des Angeschuldigten von der Fahrbahn nach links über die Gegenfahrbahn, lässt zwar die Deutung zu, dass der Beschuldigte zum Unfallzeitpunkt infolge von Übermüdung nicht mehr fahrtauglich war. Dieser Schluss ist jedoch keineswegs zwingend, da nicht jegliche Ermüdung eines Kraftfahrer zur Bejahung der Tatbestandsvoraussetzung des § 315 c 1 Nr. 1 b StGB führt. Zu verlangen ist vielmehr ein solcher Übermüdungszustand, welcher für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahenden Sekundenschlafes mit sich bringt. Ob eine Schlafabnoe die Fahreignung beeinträchtigt muss durch ein rechtsmedizinisches Gutachten geklärt werden. Für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis recht ein entsprechender Verdacht nicht aus.

LG Wiesbaden v. 22.06.2015:
Für die Bejahung der Tatbestandsvoraussetzung des § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB ist ein solcher Übermüdungszustand zu verlangen, welcher für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahen Sekundenschlafes mit sich bringt.

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Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis:


Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis

LG Traunstein v. 08.07.2011:
Ob die Angaben des Angeschuldigten gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten, er sei "Schlafapnoiker", verwertbar ist, kann letztlich nur durch ein rechtsmedizinisches Gutachten geklärt werden. Gegenwärtig fehlt es damit an dem für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO zu verlangenden dringenden Verdacht, dass dem Beschuldigten in der Hauptverhandlung seine Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen werden wird.

LG Wiesbaden v. 22.06.2015:
Ein Kraftfahrer nimmt, bevor er am Steuer einschläft, stets deutliche Zeichen der Übermüdung an sich wahr oder kann diese zumindest wahrnehmen. Dies beruht auf der in den berufenen Fachkreisen gesicherten Kenntnis, dass ein gesunder, bislang hellwacher Mensch nicht plötzlich von einer Müdigkeit überfallen wird (BGH, Beschluss vom 18. November 1969, 4 StR 66/69). Die Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens ist für die Annahme des dringenden Tatverdachts daher nicht notwendig.

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